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LESEPROBE - BANANEN-POLONAISE

Einleitende Worte: Wolf Bergmann setzt sich unter den Lindenbaum und erzählt seine Geschichten. Eine junge Frau gesellt sich zu ihm. Auch weitere Passanten halten inne und lauschen. Diese Geschichte handelt von dem Lärm der Gedanken und sie heißt - die Bananen-Polonaise.



Wolf Bergmann - Wenn ich etwas konnte, dann Geschichten erfinden. Ich überlegte kurz und entschied mich für die „Bananen-Polonaise“. Mein Eindruck war, die junge Frau könnte den Sinn hinter dieser Geschichte verstehen. Ich nahm einen Schluck Wasser aus der Plastikflasche, die ich immer bei mir trug, dann begann ich mit meiner Erzählung. Dabei schloss ich meine Augen.

 

„Der junge Mann war guter Dinge. Heute wollte er sein erstes Buch anfangen. Schon immer wollte er von Herzen nur eins, Schriftsteller sein. Vorher musste er allerdings noch seinen kleinen Affen füttern und so gab er ihm eine Banane. Dann setzte er sich an seinen Schreibtisch und wollte gerade anfangen, den ersten Satz seines Buchs zu schreiben.“

 

Ich öffnete meine Augen einen Spalt. Die junge Frau war noch da. Das war ein gutes Zeichen und ich vertiefte mich wieder in meine Geschichte.

 

„Anscheinend hatte der Affe des jungen Mannes aber noch Hunger und so erhob sich er sich wieder von seinem Schreibtisch und gab ihm eine weitere Banane. Der junge Mann wusste nicht, dass sein Affe unersättlich war. Keine fünf Minuten später ging er erneut zur Obstschüssel, denn der Affe hatte begonnen, wie wild zu schreien. ‚Da hilft ja alles nichts, da muss man ihn weiter füttern‘, dachte sich der junge Mann. Als die Obstschüssel leer war, ging er in den Vorratsraum und füllte sie wieder auf. ‚Irgendwann wird sein Affe doch auch mal satt sein‘, ermunterte er sich selber und setzte sich wieder an seinen Schreibtisch. Schließlich wollte er ja einen Roman schreiben. Das wollte er schon immer. Das war sein Herzenswunsch. Als die Vorratskammer leer war, schnappte er sich seine Autoschlüssel und fuhr zum Großmarkt in die Stadt. Er brauchte mehr Bananen. Viele davon!“

 

Wieder blinzelte ich, weil ich neugierig war, ob die junge Frau noch da war. Zu meinem Erstaunen hatten sich zwei weitere Personen zu der Frau gesellt. Sie lauschten alle aufmerksam meiner Geschichte. Mein Herz machte einen Sprung. Ich fühlte mich gut und vertiefte mich wieder in meine Erzählung. Das war eindeutig das beste an dem heutigen Tag.

 

„Einige Wochen später, der junge Mann war wieder auf dem Wochenmarkt und wollte Bananen kaufen, aber der Händler hatte keine Bananen mehr. Der junge Mann hatte bereits alle gekauft. Auch all die anderen Händler zuckten mit den Schultern. So viele Bananen, wie der junge Mann in den letzten Wochen gekauft hatte, darauf waren sie einfach nicht vorbereitet gewesen. So dachte der junge Mann nach und die Lösung war schnell gefunden. In der nächsten Zeit war er damit beschäftigt, eine Bananen-Plantage anzulegen.“

 

Die junge Frau lächelte, denn sie hatte genau beobachtet, wie ich immer wieder durch die Augenlieder schielte. Ich wurde rot. Irgendwie mochte ich sie. Sie war bezaubernd.

 

„Die Zeit verging. Monate. Jahre. Der junge Mann war nicht mehr ganz so jung. Sein Buch hatte er noch nicht angefangen, aber er war nun stolzer Besitzer von Fünfundzwanzig Bananen-Plantagen, der größte Bananen-Produzent im ganzen Land. Keiner konnte ihm das Wasser, bzw. die Bananen, reichen. Aber sein Affe hatte immer noch Hunger. Das war das Problem. Der Mann hatte nicht viel Zeit, denn er war schließlich ein vielbeschäftigter Plantagenbesitzer und das Füttern des Affen nahm zu viel Zeit in Anspruch. Er grübelte ganze Nächte, bastelte und schraubte. So baute er ein Fließband und das funktionierte ganz hervorragend. Er nannte es „Automatisierung“. Von nun an war er nicht nur Plantagen-, sondern auch Fabrikbesitzer.“

 

Ich lauschte kurz und hörte, dass weitere Passanten bei mir stehengeblieben waren. Es klingelte in meinem Hut. Wie wunderbar war dieses Geräusch! Nicht nur wegen dem Geld, das war super, aber viel besser, ja beinah unbezahlbar, war die Wertschätzung, ganz ohne Frage!

 

„Eine Zeit lang gab der Affe Ruhe, aber dann, der Mann bekam schon erste graue Haare, begann der Affe damit, auch zu nächtlicher Stunde Hunger zu bekommen. Das war selbst dem schlauen Köpfchen des Mannes zu viel. Er grübelte wieder Tag und Nacht, während er seinen Affen fütterte. Der Mann hatte zwar alles andere vergessen, aber Grübeln konnte er wie kein anderer. Die Gedanken kamen immer wie vom Fließband, einer nach dem anderen. Sie kamen aus dem Nichts und gingen in das Nichts. Er hatte sich nie gefragt, woher sie kamen. Er dachte immer, diese Gedanken gehörten nicht nur zu ihm, sondern er identifizierte sich sogar mit ihnen. Er WAR seine Gedanken. Und das wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Eines Nachts, es war fünf Minuten vor Mitternacht und der Mann konnte mal wieder nicht schlafen, kam ihm eine zündende Idee. Er begab sich in seine Werkstatt und tüftelte wochenlang an einem großen Metallkasten herum. Dann war er fertig. Der Mann war zufrieden. Er nannte diesen Gegenstand - Computer.“

 

Die Menschen um mich herum lachten. Die junge Frau war auch noch da und als ich kurz meine Augen öffnete, klatschte sie mir lächelnd zu, munterte mich auf, weiter zu erzählen. Ich war schockverliebt!

 

„Jetzt hatte der junge Mann, der gar nicht mehr so jung war und schon einen Gehstock benutzte, zur Nachtstunde seine Ruhe. Endlich! Fließband und Computer machten die Arbeit von ganz alleine. Die Plantagen sorgten für genug Nachschub. Doch nach einigen Wochen gingen die Bananen wieder zur Neige. Jemand hatte einen ganzen Affenzoo gekauft, mit hundert Affen, die alle Bananen konsumierten. Die Bestände aller Plantagenbesitzer waren schnell aufgebraucht. Wieder gab es also ein Problem und der Mann tat was er immer tat, er grübelte. Das Gehirn des alten Mannes arbeitete auf Hochtouren. Auch diesmal fand er die Lösung. Er fuhr mit seinem Bonzenauto über die Grenze und kaufte kurzerhand alle Bananenplantagen im Nachbarland auf. Dies nannte er  „Globalisierung“. Er freute sich diebisch über die neue Reichweite seiner Macht. Und die Freude hielt an, sogar ganze zwei Tage lang.“

 

Für den letzten Satz gab es zustimmenden Beifall in der Runde. Ich atmete tief durch. Das Finale meiner Geschichte stand an. Meine hübsche, junge Dame lächelte nicht mehr. Sie war nachdenklich geworden. Sie hatte bereits den tieferen Sinn meiner Geschichte erfasst. In diesem Moment wollte sie nicht grübeln, aber sie tat es trotzdem und das wurde ihr gerade bewusst.

 

„Er hatte jetzt alles was er sich wünschen konnte. Er hatte so viele Bananen wie kein anderer Mensch auf der Welt. Er war der Mächtigste von allen Bananenerzeugern. Zudem betrieb er eine voll automatisierte und globalisierte Affenfütterungsindustrie. Endlich konnte er ein bisschen schlafen. Das war auch dringend nötig, denn er war sehr, sehr erschöpft. Er schlief und schlief, tagelang, wochenlang, monatelang. Fast verschlief er sein ganzes, restliches Leben. Als er dann endlich aufwachte, überprüfte er Plantagen, Fließbänder und Computeranlagen. Alles lief wie am Schnürchen. Im Spiegelbild jedoch, blickte er in das Gesicht eines alten Greises. Sein Haar war grau und sein Gesicht war gezeichnet von tiefen Sorgenfalten. Er setzte sich hin, kam zur Ruhe. Seit langer Zeit überlegte er zum ersten Mal wieder, was er eigentlich machen wollte, früher als er noch Visionen hatte. Aber es wollte ihm einfach nicht mehr einfallen. Da war doch noch etwas anderes, was war das bloß?“

 

Einige Zuhörer klatschten Beifall. Eine kleine Gruppe hatte sich mittlerweile eingefunden. Ja und die junge Frau war auch noch da. Zu meinem Erstaunen hatte sie den Kinderwagen neben mir abgestellt und saß jetzt mit mir auf der Bank. Das hatte ich nicht erwartet und es machte mich sehr verlegen. Ich riss mich zusammen und fuhr mit meiner Geschichte fort.

 

„Wochenlang dachte der Mann über seine ursprünglichen Ziele nach. Warum war er eigentlich hierher gekommen? Da war doch noch mehr. Das kann doch nicht alles gewesen sein. Er war furchtbar verzweifelt. Aber so sehr er sich auch anstrengte, er erinnerte sich nicht mehr daran. Komischerweise war sein Affe, der mittlerweile aufgrund der vielen Bananen zu einem riesigen KONG herangewachsen war, ganze fünfzehn Meter hoch, in den letzten Tagen sehr unruhig. Unruhig war untertrieben. Der Riesenaffe drehte regelrecht durch. Je mehr der Mann über seinen verlorenen Visionen nachsann, desto wilder wurde der riesige Affe. Die kleinen Bananen reichten ihm einfach nicht mehr und er hämmerte mit seinen Fäusten auf den Boden, so dass das ganze Haus wackelte. Der alte Mann schleppte sich zum Käfig. Er versuchte seinen Affen mit einer Banane zu beruhigen, doch in seiner blinden Wut, griff die riesige Pranke des Affen nicht nur die Banane, sondern den ganzen alten Mann gleich mit. Auf dem Weg zu dem riesigen Maul, als er die blitzscharfen Zähne erblickte, die ihn nun zermalmen würden, in diesem Moment blitzte ein Gedanke im Verstand des Mannes nochmal ganz kurz auf.“

 

Die junge Dame neben mir auf der Bank flüsterte gedankenverloren.

„Es ist das Buch. Er wollte immer ein Buch schreiben.“


Ich nickte. Niemand außer mir hatte ihre Worte gehört. Meine Geschichte war fast zu Ende. Es berührte mich tief, dass die junge Frau sie verstanden hatte und noch mehr, dass sie sich zu mir auf die Parkbank gesetzt hatte.

 

„Was der alte Mann in diesem Moment verstand war, ja verdammt, ich wollte doch eigentlich einen Roman schreiben!  Dafür bin ich hierher gekommen! Und es wurde ihm klar, dass es nun zu spät dafür war und dicke Tränen kullerten dem alten Mann über die Wangen.“


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Copyright: Boris Schuler Bild: KI






















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